Von Wilhelm Adamy
Das Bild der aktuellen Flüchtlingssituation ist überwiegend von männlichen Asylsuchenden geprägt, doch etwa 40 Prozent aller Flüchtlinge in Deutschland sind weiblich. Dieser Anteil kann sich mit dem zu erwartenden Familiennachzug weiter erhöhen. Bei den notwendigen Schritten zur Integration in den Arbeitsmarkt muss daher die spezifische Situation von Frauen dringend berücksichtigt werden.
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Flüchtlingsfrauen machen sich häufig mit Kindern, auch ohne männliche Begleitung auf den Weg nach Deutschland, teils geflohen vor sexueller oder häuslicher Gewalt, Zwangsverheiratung und mehr. Meist sind sie mit anderen kulturellen und gesellschaftlichen Normen aufgewachsen und vielfach – wie die Männer – von traditionellen Frauen- und Familienbildern geprägt. All dies darf bei den notwendigen Integrationsbemühungen nicht ausgeblendet werden.
Sprachliche und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen können längerfristig nur dann erfolgreich sein, wenn sie ganzheitlich die bisherigen Lebenserfahrungen einbeziehen und Chancen zu gesellschaftlicher Partizipation in selbstbestimmter und gleichberechtigter Art und Weise eröffnen. Aber auch der Erhalt bzw. die Wiederherstellung der psychosozialen Gesundheit von Frauen mit traumatischen Erfahrungen und ihren Kindern darf nicht vergessen werden. Um geflüchteten Frauen gleiche Chancen zur gesellschaftlichen Integration zu eröffnen wie Männern, müssen sie im gleichen Umfang unter Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Besonderheiten gefördert werden. Nicht zuletzt unterstützt ihre gezielte Förderung auch eine dauerhaft gelingende Integration ihrer Kinder. Doch bei der Umsetzung dieser notwendigen Integrationsbemühungen stehen wir noch vor großen Herausforderungen.
Die Bundesregierung will zwar eine Willkommenskultur, bleibt aber mit ihren Anstrengungen weit hinter den Notwendigkeiten hierfür zurück. So stellt sie beispielsweise keinesfalls die bedarfsgerechte Mittelausstattung für die Sprachförderung zur Verfügung. Bereits im September 2014 forderte der Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit (BA), dass die Sprachförderung „angesichts der steigenden Zahlen an Flüchtlingen und Asylsuchenden und Zuwanderern aus EU-Staaten ausgebaut und verstetigt werden muss“1. In seinen Empfehlungen vom April 2014 konkretisierte das Mitbestimmungsgremium der BA, dass für das Erlernen der deutschen Sprache zusätzliche Steuermittel von 300 Millionen Euro im Jahr notwendig seien.2 Obwohl der frühzeitigen Sprachkompetenz eine Schlüsselrolle bei der beruflichen und sozialen Integration zukommt, hat der Bund in 2015 keine bedarfsgerechte Mittelausstattung eröffnet. Einmal mehr sprang die Arbeitslosenversicherung ein und finanziert auch die Deutschkurse für Flüchtlinge über Sozialbeiträge, wenn diese Kurse bis zum 31. Dezember 2015 beginnen. Mit dieser „Notfallhilfe“ wollte der BA-Verwaltungsrat schnell und direkt helfen und stellte dafür zusätzliche Beitragsmittel von bis zu 121 Millionen Euro zur Verfügung. Auch für die aktiven Hilfen für Flüchtlinge wurden die Fördermittel in der Arbeitslosenversicherung für 2016 um 350 Millionen Euro erhöht – ohne dass dadurch Nachteile in der Förderung für andere Arbeitsuchende entstehen. Damit können die notwendigen Maßnahmen für Asylbewerber/innen sowie für Geduldete finanziert werden. Damit nimmt die Arbeitslosenversicherung ersatzweise eine wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahr.
Anerkannte Flüchtlinge haben einen uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt und werden nicht von den Arbeitsagenturen betreut, sondern haben Anspruch auf Hartz IV und können arbeitsmarktpolitisch von den Jobcentern gefördert werden. Der Großteil der Flüchtlinge, über deren Asylantrag positiv entschieden ist, wird im Hartz-IV-System beraten und vermittelt. Mit einem positiven Entscheid des Asylantrages wechselt somit in der Regel auch die Zuständigkeit von der Arbeitsagentur hin zum Jobcenter. Flüchtlinge werden diese bürokratischen Schnittstellen noch viel weniger nachvollziehen können als andere Arbeitslose. Noch problematischer droht zu werden, dass die Zahl der anerkannten Flüchtlinge im Hartz-IV-System deutlich stärker ansteigen dürfte als der Bund die Eingliederungshilfen in diesem System erhöht. Lediglich 250 Millionen Euro sollen zusätzlich für die Arbeitsförderung im Hartz-IV-System aufgestockt werden, deutlich weniger als im Versicherungssystem. Wie bei der Sprachförderung stellt der Bund auch für die berufliche Integration von Flüchtlingen somit weniger Mittel zur Verfügung als notwendig. Damit droht die finanziell ohnehin schon viel zu kurze Förderdecke weiter zu schrumpfen. Diese finanziell völlig unzureichende Mittelausstattung im Hartz-IV-System könnte schnell frauenspezifische Maßnahmen treffen. Dies gilt es zu verhindern.
Bei der Ausgestaltung frauenspezifischer Maßnahmen zur beruflichen Integration sollten folgende Besonderheiten berücksichtigt werden: Verknüpfung mit sozialflankierenden Leistungen zur Kinderbetreuung sowie die Verknüpfung mit flankierenden Angeboten zum Erhalt bzw. zur Wiederherstellung der psychosozialen Gesundheit von Frauen mit traumatischen Erfahrungen. Diese unterschiedlichen Maßnahmen sollten möglichst aufeinander aufbauen und zu einem stimmigen Konzept zusammengeführt werden. Einzelne Maßnahmen und Initiativen von Bund und Ländern sollten darüber hinaus miteinander verbunden werden. Um die beruflichen Perspektiven von Frauen und Müttern zu stärken, empfiehlt es sich an bestehende Angebote und Programme anzudocken und diese auszubauen und auf die Situation von Flüchtlingsfrauen zu erweitern. Hierzu bieten sich insbesondere das ESF-Bundesprogramm „Stark im Beruf – Mütter mit Migrationshintergrund steigen ein“ an sowie das Aktionsprogramm „Perspektive Wiedereinstieg“.
Zentralen arbeitsmarktpolitischen Handlungsbedarf gibt es darüber hinaus gleichermaßen für beide Geschlechter in folgenden Bereichen:
Dr. Wilhelm Adamy ist Abteilungsleiter für Arbeitsmarktpolitik beim Deutschen Gewerkschaftsbund. Kontakt
Dieser Beitrag ist Bestandteil der frau geht vor.
Das Anerkennungsgesetz für ausländische Berufsabschlüsse ist aus Sicht des DGB ein wichtiger Fortschritt. Allerdings werde noch nicht das „mögliche Potenzial an Anerkennungsinteressierten“ erreicht, heißt es in der Stellungnahme des Gewerkschaftsbunds.
DGB-Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur Änderung des Berufsqualifikationsfeststellungsgesetzes (BQFG) und zum Bericht zum Anerkennungsgesetz 2015