Von Claudia Weinkopf
Es hat lange gedauert bis Deutschland – wie die meisten anderen EU-Länder – einen gesetzlichen Mindestlohn eingeführt hat. Seit Anfang 2015 haben nun aber fast alle Beschäftigten Anspruch auf einen Stundenlohn von mindestens 8,50 Euro pro Stunde. Dies wirkt sich nicht nur positiv auf die Lohnverteilung und Einkommen aus, sondern reduziert auch die strukturelle Benachteiligung von Frauen und führt zu Verbesserungen im Bereich der Minijobs.
Der gesetzliche Mindestlohn gilt seit dem 1. Januar 2015 für fast alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ausgenommen sind nur einige wenige Gruppen wie zum Beispiel Auszubildende, unter 18-Jährige ohne Berufsabschluss, manche Praktikant/innen sowie Langzeitarbeitslose in den ersten sechs Monaten der Beschäftigung. Darüber hinaus haben die Tarifvertragsparteien die Möglichkeit erhalten, für eine maximal zweijährige Übergangsphase auf der Branchenebene niedrigere tarifliche Mindestlöhne zu vereinbaren, um den Anpassungsprozess zu strecken. Dies wird zum Beispiel in der Fleischwirtschaft und im Friseurhandwerk genutzt.
Der Mindestlohneinführung vorausgegangen sind heftige Kontroversen und Befürchtungen, dass dieser die Tarifautonomie schwächen und der Beschäftigung schaden könnte. Neuere theoretische Überlegungen und empirische Forschungsarbeiten vor allem aus den USA und Großbritannien belegen jedoch, dass ein gut gemachter Mindestlohn keine negativen Auswirkungen auf die Beschäftigung haben muss, sondern sich positiv auf die Lohnverteilung und Einkommen auswirken kann (Bosch/Weinkopf 2014).
Von der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland können Frauen in besonderer Weise profitieren, da sie deutlich häufiger als Männer von Niedrig- und Niedrigstlöhnen betroffen sind. Im Jahr 2012 verdienten nach IAQ-Berechnungen insgesamt fast 20 Prozent der abhängig Beschäftigten in Deutschland weniger als 8,50 Euro. Bei den Männern waren es gut 14 Prozent und bei den Frauen sogar fast jede Vierte (vgl. Abbildung). Frauen sind auch von Niedrigstlöhnen deutlich stärker betroffen als Männer: Fast jede zehnte erwerbstätige Frau verdiente im Jahr 2012 weniger als 6 Euro pro Stunde.
Kalina/Weinkopf 2014
Der Mindestlohn kann einen wichtigen Beitrag leisten, um strukturelle Benachteiligungen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt zu reduzieren und mehr Dynamik in Richtung einer Verringerung des Gender Pay Gaps, der in Deutschland mit rund 22 Prozent besonders groß ist, auszulösen. Sektorale Lohnunterschiede müssen ebenso reduziert werden wie Lohndifferenzen zwischen weiblich und männlich dominierten Tätigkeiten. Die Unterbindung von Niedrigstlöhnen wird auch traditionell ertragsschwache Branchen und Unternehmen dazu zwingen, in stärkerem Maße auf einen Wettbewerb über Qualität, Innovation und eine Erhöhung der Produktivität zu setzen. Darüber hinaus können höhere Löhne mehr Anreize für Unternehmen bieten, vorhandene Qualifikationen ihrer Beschäftigten besser zu nutzen bzw. stärker in Weiterbildung und Personalentwicklung zu investieren (Grimshaw/Rubery 2007; Rubery/Grimshaw 2009).
Auch im Bereich der Minijobs kann der Mindestlohn zu deutlichen Verbesserungen für die meist weiblichen Beschäftigten führen. Im Jahr 2012 verdienten mehr als zwei Drittel der geringfügig Beschäftigten weniger als 8,50 Euro pro Stunde (Kalina/Weinkopf 2014). Hinzu kommt, dass Minijobber/innen bislang offenbar nicht selten nur für tatsächlich geleistete Arbeitsstunden bezahlt werden. Viele erhalten (rechtswidrig) keine bezahlten Urlaubstage, keinen Lohn für Feiertage und auch keine Lohnfortzahlung für Krankheitstage (Voss/Weinkopf 2012; RWI 2012).
Arbeitgeber kompensieren dadurch offenbar häufig ihre im Vergleich zu sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung höheren Abgaben für Minijobs und die Beschäftigten kennen ihre Rechte nicht oder trauen sich nicht, diese einzufordern. Der Mindestlohn kann dazu beitragen, solche Praktiken endlich wirksam zu unterbinden und die (vermeintliche) Attraktivität der Minijobs aus Arbeitgebersicht zu verringern.
Auf Seiten der Beschäftigten in Minijobs können erhöhte Stundenlöhne dazu führen, die Geringfügigkeitsgrenze zu überwinden und damit in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu wechseln. Dabei muss zwar in Kauf genommen werden, dass auf den Verdienst Steuern und Sozialabgaben zu zahlen sind. Dies lässt sich aber durch eine Ausweitung der Wochenarbeitszeit, die Befragungen zufolge von vielen geringfügig Beschäftigten gewünscht wird (Wanger 2011), ausgleichen, wodurch letztlich auch netto mehr verdient werden kann.
Alternativ haben geringfügig Beschäftigte auch die Möglichkeit, ihre Arbeitszeit so weit zu reduzieren, dass sie trotz einer Erhöhung ihres Stundenlohns weiter unter der Verdienstgrenze von 450 Euro pro Monat bleiben. Anzuraten ist das allerdings nicht, weil sich Minijobs in der Praxis oft als Sackgasse erwiesen haben. Eine Studie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums hat gezeigt, dass es äußerst schwierig ist, aus einer geringfügigen Beschäftigung heraus eine sozialversicherungspflichtige Teilzeit- oder Vollzeitstelle aufzunehmen (Wippermann 2012).
Damit der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland die hier beschriebenen positiven Effekte auf die Löhne und Einkommen von Frauen (und auch von Männern) entfalten kann, muss er in der Praxis allerdings effektiv um- und durchgesetzt werden. Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass hierfür nicht nur effektive Kontrollen und Sanktionen bei Verstößen erforderlich sind, sondern auch die Transparenz der Mindestlohnregelungen zentral ist. Betriebe und Beschäftigte müssen die Höhe des Mindestlohns kennen und auch wissen, was auf den Mindestlohnanspruch angerechnet werden darf und was nicht.
Da der Mindestlohn pro Arbeitsstunde bezahlt werden muss, ist darüber hinaus die korrekte Erfassung der Arbeitszeit eine zentrale Voraussetzung für dessen Einhaltung und Kontrollierbarkeit. Unternehmen schließen nach vorliegenden Erfahrungen ihren Frieden mit Mindestlöhnen, wenn sie sich darauf verlassen können, dass sich auch die Konkurrenz daran halten muss.
Die internationale Forschung belegt außerdem, dass Mindestlöhne die stärksten positiven Wirkungen auf die Lohnverteilung haben, wenn sie mit einer hohen Tarifbindung einhergehen, weil Erhöhungen des Mindestlohns dann auch Einfluss auf die Bezahlung der darüber liegenden Lohngruppen entfalten können (Hayter/Weinberg 2011; Bosch/Weinkopf 2013). Insofern ist es richtig und wichtig, dass die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland in ein Maßnahmenbündel zur Stärkung des Tarifsystems eingebettet ist.
Eine zentrale Herausforderung aus der Genderperspektive besteht dabei darin, dies auch in denjenigen Branchen zu erreichen, die derzeit eine besonders geringe Tarifbindung aufweisen und in denen oftmals viele Frauen tätig sind. Eine Steigerung des gewerkschaftlichen Organisationsgrades und die Gründung von mehr betrieblichen Interessenvertretungen wären wichtige Ansatzpunkte, um die Tarifbindung zu erhöhen und zu verhindern, dass der gesetzliche Mindestlohn in solchen Branchen für viele Beschäftigte zum „Normallohn“ wird.
Um den Ziel einer eigenständigen Existenzsicherung von Frauen näher zu kommen, ist die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns ein wichtiger Schritt, dem allerdings weitere folgen müssen. Die Aufwertung und bessere Bezahlung von typisch weiblichen Tätigkeiten z.B. im Bereich der sozialen Dienstleistungen sind hierfür ebenso zentral wie wirksame Maßnahmen zur Eindämmung von Minijobs und unfreiwilliger Teilzeitarbeit.
Dr. Claudia Weinkopf ist stellvertretende Geschäftsführende Direktorin des Instituts Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen (IAQ) und leitet die Forschungsabteilung "Flexibilität und Sicherheit" (FLEX).
Dieser Artikel ist Teil des Infobriefs "frau geht vor" der DGB Frauen.